Der heutige Gastkommentar ist eine Buchrezension von Pastor Dr. Michael Großklaus, Dozent an der ETS Kniebis, zu einem neu aufgelegten "Klassiker" von Helge Stadelmann: Das Okkulte: Herausforderungen - Einordnung - Seelsorge.
Titel: Das Okkulte. Herausforderung - Einordnung - Seelsorge
Autor: Prof. Dr. Helge Stadelmann, Altrektor und Seniorprofessor für Praktische Theologie an der FTH Gießen und Prof. em. der Evang. Theol. Fakultät Löwen/B.
Erscheinungstermin: 2020 (Esras.net GmbH), 1.-2. Aufl. 1981-1984 (Brunnenverlag), 179 Seiten, Hardcover
Helge Stadelmann wagt es, nach fast 40 Jahren sein Buch „Das Okkulte“ in der 3. Auflage stark überarbeitet zu veröffentlichen. Damit geht er einen mutigen Weg, der sich unter anderem darin zeigt, dass er diesmal mehr als doppelt so viele Seiten für die 3. Auflage benötigt. Wie nicht anders von einem Theologen zu erwarten, wurde der biblisch-theologische Mittelteil als Zentrum des Buches kaum verändert. Die fachlich-wissenschaftlichen, bzw. seelsorgerlich-praktischen Teile bilden den Rahmen, was sich im Umfang bemerkbar macht.
Teil 1 Herausforderungen
Stadelmann beginnt auf den ersten 67 Seiten mit seinem Überblick der okkulten Erscheinungsformen. Er startet mit Aberglaube-Magie-Mantik und New Age, sowie Esoterische Praktiken, gibt dann Einblicke in Hexenglaube-Satanismus-Spiritismus und Geisterglaube, sowie Zauber in animistischen Kulturen und kommt schließlich mit christlichem Semi-Okkultismus und Erklärungsversuchen der Anomalistik zum Schluss, in dem er anomale Phänomene und die Kräfte der Seele von C.G. Jung und A.Köberle beschreibt.
Inhaltlich ist es Stadelmann gelungen, auf wenigen Seiten seine ausgewählten okkulten Erscheinungsformen zu beschreiben. Im Abschnitt Esoterische Praktiken taucht der Exkurs Naturheilkunde und esoterische Heilverfahren auf. Hier wird u.a. auf die Vereinigung christlicher Heilpraktiker (VCH) eingegangen und dessen damaligen Vorsitzenden Dieter A. Oesch zitiert. Aktuell gibt es jedoch auch die Deutsche Gesellschaft für Christliche Naturheilkunde (DGCN), die sich durch ihre Liebe zur Bibel noch deutlicher als die VCH von esoterischen und weltanschaulich fragwürdigen Methoden abgrenzt. Besonderes Augenmerk legt er auf den Abschnitt christlicher Semi-Okkultismus und beschreibt mit Hilfe aktueller Autoren die Problematik, wenn Christen zu schnell von okkulten Belastungen ausgehen. Zurecht kritisiert er problematische Ansätze des Befreiungsdienstes und nennt mutig deren Vertreter, wobei einige besonders extreme Vertreter nicht erwähnt werden (James Stanton, Ken und Sylvia Thornberg usw.). Insgesamt ein guter Überblick, der manchmal jedoch zu stark die 80er Jahre aufleuchten lässt. Ein paar aktuelle Autoren, Vertreter und Literaturhinweise wären sicher hilfreich für den Leser von heute gewesen.
Teil 2 Einordnung
Der zentrale Teil wird der theologischen Arbeit gewidmet und besteht aus den Punkten Die Bibel zu Erscheinungsformen des Okkulten und Die Wesensbestimmung des Okkulten. Theologisch gründlich wie gewohnt, entfaltet der Theologe die überwiegend alttestamentliche Entwicklung von okkulten Praktiken (Abgötterei, Wahrsagung, und Magie) und ordnet sie theologisch hilfreich ein, wenn er z.B. darauf hinweist, dass nur Gott die Zukunft kennt und Wahrsager sie nicht zuverlässig voraussagen können und dass häufig eine fromm verkleidete Wahrsagerei praktiziert wurde, hinter der nicht selten Angst- und Geldmacherei steckt. Solche Schlussfolgerungen sind wichtig und gerade vor seelsorgerlichem Hintergrund hilfreich, entlarven sie häufig einen übernatürlichen Schleier, unter dem letztlich gar nichts Übernatürliches steckt. In den Ausführungen zu dem Begriff „Besessenheit“ gelingt es ihm deutlich zu machen, dass dieser Begriff vom Urtext her der Bibel im Grunde fremd ist, und besser mit „dämonisiert“ übersetzt werden sollte. Stadelmann bedient sich der Begrifflichkeiten possession = Besessenheit und obsessio = Umsessenheit, was er als „evtl. als eine Vorstufe der Besessenheit“ deutet. Auch die Stelle aus 1.Sam.16,14, die beschreibt, wie ein böser Geist des HERRN über Saul kommt berücksichtigt er, was viele „Befreiungsdienstler“ unterschlagen. Gut, dass der Theologe Stadelmann zum Ergebnis kommt, dass es sinnvoll ist interdisziplinär zu arbeiten. Deshalb ermutigt er, dass Seelsorger „sich im Bereich der Psychologie und Medizin informieren, damit er (angesichts ähnlichen Symptomen) einen Kranken nicht mit einem Besessenen verwechselt - und umgekehrt.“
Gut und überzeugend weist der Autor schließlich nach, dass es zu wenig biblische Evidenz für die sog. territoriale Kampfführung gibt und es unklug ist, zwischen überpersönlichen finsteren Mächten (die über Städten und Nationen stünden) und persönlichen Mächten (die einzelne Menschen dämonisierten) zu unterscheiden.
Teil 3 Seelsorge
Wie zu erwarten war, ist der 3.Teil des Buches, der den seelsorgerlich-praktischen Aspekt beschreibt, mit knapp 30 Seiten der kürzeste Teil. Ein Professor für Theologie hat eben andere Schwerpunkte und das ist auch gut so. Grundlage für eine gute Seelsorge ist für Stadelmann eine trinitarisch begründete Seelsorge. Dies spiegelt eine theologische Ausgewogenheit wieder, die vor dem Hintergrund einer ganzheitlichen biblischen Anthropologie unverzichtbar ist. Er macht gleich zu Beginn des 3. Teils deutlich, dass im Gebiet der Okkultseelsorge ein differenziertes Urteilsvermögen dringend nötig ist. Er erwähnt zurecht, dass es höchst gefährlich ist, wenn man hinter jeder (physischen oder psychischen) Not, den Teufel vermutet. In Unterpunkt A) Seelsorgerliches Vorgehen im Überblick, zitiert er 21 Schritte, die Kurt Koch in seinem Buch Seelsorge und Okkultismus, vor 6 Jahrzehnten erwähnte. An dieser Stelle wäre es hilfreich gewesen, auf die ursprüngliche Literatur zu verweisen, nämlich auf Kochs Buch Das okkulte ABC, wo Koch diese 21 Schritte näher erklärt. Hier stellt sich die Frage, ob im 21.Jahrhundert die Bücher und Thesen von Kurt Koch als ausreichend im Bereich von Okkultismus angesehen werden können, da er zwar viel dazu geschrieben hat, die Qualität seiner Aussagen jedoch in manchen Bereichen zu wünschen übriglässt (insbesondere, wenn man neuere Untersuchungen aus dem Bereichen der Psychologie und der Neurowissenschaften berücksichtigt). Auch würde man Kochs Aussagen bzgl. der Tiefenpsychologie (Freud, Jung...) heute so nicht mehr ohne Weiterem zustimmen, da insbesondere die Ansätze der kognitiven Verhaltenstherapie vieles ergänzt und weiterentwickelt haben. Der seelsorgerlich wichtigen Frage Okkult oder psychisch? widmet Stadelmann gerade mal 8 Seiten, wovon 2 Seiten ein Fallbeispiel bzw. Aussagen von Kurt Koch wiedergeben. Hier würde man sich Hinweise und Verweise auf aktuelle Literatur wünschen.
Die Aussagen zu Dissoziativen Identitätsstörungen könnten ausführlicher und vor allem aktualisierter beschrieben werden, da im neuen Diagnosemanual ICD-11 (Stadelmann zitiert die Vorgängerausgabe ICD-10) diese Thematik genauer dargelegt wird. Auch sei auf das Buch von Dr. Jan Gysi verwiesen (Diagnostik von Traumafolgestörungen, hogrefe-Verlag). Dies lag Stadelmann leider noch nicht vor, da es im Januar 2021 erschienen ist.
Dennoch gelingt es ihm, auf die Bedeutung einer Differentialdiagnostik hinzuweisen, mit anderen Worten: Man sollte genau hinsehen und nur dann einen Befreiungsdienst vornehmen, wenn es sich tatsächlich um dämonische Mächte handelt. Wie man konkret diese Unterscheidung der Geister vornimmt, bzw. okkulte Belastungen von psychischen Krankheiten unterscheiden kann, beschreibt Stadelmann nicht ausführlich genug. Das Grundanliegen, Menschen die nachweislich okkult belastet sind, in angemessener Weise Hilfe zukommen zu lassen, betont er passend und in wertschätzender Art und Weise.
Als Theologe ist es Stadelmann gelungen, dieses komplexe Thema nicht nur gründlich, sondern vor allem sehr kompakt zu bearbeiten. Sein formuliertes Ziel, dass das Buch Betroffenen die Augen öffnen und Seelsorgern Maßstäbe an die Hand geben möge, wurde erreicht. Studenten an Theologischen Fachschulen und Hochschulen ist es auf jeden Fall zu empfehlen. Ebenfalls Seelsorgern in christlichen Gemeinden, auch wenn der fachlich-wissenschaftliche und seelsorgerlich-praktische Teil noch ausführlicher sein könnte.
Es ist erfreulich, dass wieder ein theologisch gutes und hilfreiches Buch zum Thema Okkultismus in unserer Zeit auf dem Markt erschienen ist, welches im kirchlichen und freikirchlichen Raum Verbreitung finden sollte. Die Liebe zu Gott, zur Bibel und zu einer ausgewogenen Theologie, die man Helge Stadelmann abspürt, kann den Lesern helfen, sich im Bereich von Okkultismus ein gutes Bild zu machen.
Pastor Dr. Michael Großklaus, Hochschuldozent und Supervisor, Leiter einer psychologischen Beratungsstelle, BTS- Studienleiter, Autor u.a. von Okkult belastet oder psychisch krank – Ein Leitfaden für Kirche, Gemeinde und Beratung.